4 Feuer frei! – Das Dorf Delm und seine Folgen

In den Anfängen der Feuerkarte erkennt man, dass Orte zu Beginn meiner Arbeit grundsätzlich eine Sonderstellung einnahmen. Ich begab mich (zum Teil erst einmal nur kognitiv auf der Feuerkarte) an Orte, die für mein Leben bisher von Bedeutung waren. Da ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens in einem kleinen Dorf namens Hotteln (bei Hannover) auf einem ehemaligen Bauernhof aufgewachsen bin, fixierten sich schnell die Gedanken auf diesen Ort. Wie kam ich dort mit Feuer in Berührung? Wo nahm mein Verhältnis zum Feuer seinen Anfang? Mein alljährlicher Besuch des Osterfeuers war die erste offensichtliche Verknüpfung. Über das Osterfeuer fing ich an mich intensiver mit den Mythen mit und über das Feuer auseinanderzusetzen. Weshalb überhaupt ein Osterfeuer? Das Interesse an althergebrachten Traditionen, die mit dem Feuer zu tun hatten, war „entflammt“. Von diesem Interesse ausgehend, begann ich zu recherchieren. Durch diese Recherche wurde mir bewusst, welche Bedeutung das Feuer in seiner ursprünglichen Form einmal für den Menschen gehabt haben muss. In beinahe jeder Kultur stieß ich auf Gottheiten und diverse Arten von sogenannten Brauchtumsfeuern (vgl. Feuerkarte). Am meisten fesselte mich der germanische Gott „Loki“, an den auch die Menschen in diesen Breitenkreisen geglaubt haben müssen. Loki, der Gott des Feuers und der Wandlung, spiegelt vieles vom Wesen des Feuers wieder, welches ich am Anfang dieser Arbeit theoretisch erläutert habe: Denn er tritt sowohl schadend als auch wohltätig auf, wenn gleich in späteren Überlieferungen der Übeltäter überwiegt.(51)
Durch ein Gespräch mit dem Dorfbewohner Arthur Warneke, der sich in der Heimatforschung betätigt, kam ich auf den Gedanken, mich mit dem Dorf Delm zu beschäftigen. Das Dorf Delm, so steht es auf einer Gedenktafel, soll bei einer Stiftfehde im 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648) untergegangen sein. Mitten in der kahlen Feldmarkt stehen mehrere alte Bäume, die den ehemaligen Standort des Dorfes markieren. Die Nachkommen des Dorfes bilden noch heute eine sogenannte Realgemeinde, wählen einen Bürgermeister und treffen sich mindestens einmal im Jahr an diesem Ort. Wenn man zwischen den alten Bäumen herumläuft, womöglich dazu noch in der Abenddämmerung, dann fängt einen die seltsame Mystik dieses Ortes ein. Man denkt unweigerlich an die Vergangenheit dieses Ortes, die durch rituelle Treffen auch noch heute fest in das Leben der in den umliegenden Dörfern lebenden Nachkommen eingebunden ist. Der Untergangsmythos des Dorfes (keine Quelle kann das genaue Datum belegen) führte schon bei mir als Kind dazu, dass ich mir vorstellte, wie die Dorfbewohner von der Kriegsfurie überrollt, aus ihren brennenden Häusern in die umliegenden Dörfer flüchteten. Letztlich ist diese Schreckensvorstellung jedoch etwas anderem gewichen: Ehrfurcht vor dem, was heute nach dem Feuer ist, was in der Folge des Untergangs des Dorfes daraus erwachsen ist: Eine Gemeinschaft, die nach fast 400 Jahren noch zusammenhält, sich regelmäßig trifft und feiert. Und das, obwohl Ihnen die einstige Verbindung untereinander vor Generationen abhanden gekommen ist: das gemeinsame Leben an einem Ort.

4.1 Experimentalphase I

Mit dem Ziel, Material für eine Arbeit zu sammeln, die sich mit dem Untergang des Dorfes und den Folgen bis in die Gegenwart beschäftigt, begab ich mich mehrere Male mit einem Stativ, einer Videokamera, einer Photokamera und diversen Brennflüssigkeiten in heimatliche Gefilde. In dem Garten meiner Eltern experimentierte ich zunächst herum. Ich testete beispielsweise Mischungen von gelierten Brennflüssigkeiten, die auf Gegenstände auftragbar sind und die vor allem keine Rückstände auf Untergründen hinterlassen sollten. Dabei stellte ich fest, dass die Tiere im Garten (zwei Gänse, mehrere Hühner und Hähne) keine nennenswerte Reaktion auf die Feuerexperimente zeigten. So entstanden später Photographien, die die eigenständige Arbeit „Feuerperformance für Tiere“ (vgl. Kap. 4.3) dokumentieren. Auch die „Feuerpflanzen“ (vgl. Kap. 4.4) haben den Ursprung in dieser ersten experimentellen Phase. Eine der letzten blühenden Osterglocken fiel den Experimenten zum Opfer und ihr langsames Verbrennen zeigte mir etwas, was ich aufgrund der destruktiven Vorprägung der Menschen heute bezüglich des Feuers nicht so stehen lassen konnte: Ein dokumentierter Pflanzentod, womöglich der Tod einer schönen Blume, würde nur neues Öl ins „Feuer“ gießen. Nichtsdestotrotz sollten weitere Experimente folgen (vgl. Kap. 4.4.).

4.1.1 Fischli (*1952) und Weiss (*1946) – Der Lauf der Dinge


Das Experiment ist auch eines der Stichwörter, weshalb ich hier auf eine Arbeit (die in bestimmten Kreisen beinahe Kultstatus hat) des schweizerischen Künstlerduos eingehen möchte. In der Videodokumentation „Der Lauf der Dinge“ vollziehen sich nach dem Dominoprinzip in einer Lagerhalle verschiedene physikalische und chemische Prozesse, die sich gegenseitig aktivieren und somit den „Lauf der Dinge“ beschreiben. Die räumliche und zeitliche Koordinierung ist präzise und durchdacht, so dass zum Beispiel das Verdrehen eines in einer gewissen Höhe befestigten Müllbeutels den ersten Impuls für eine Abfolge weiterer Prozesse gibt (das Herunterfallen von Objekten, das Verspritzen vonFlüssigkeit usw.). Das 1987 entstandene Video unterstreicht meiner Meinung nach eine wissenschaftliche Sichtweise der Welt und erzeugt die Metapher einer erforschten Welt, die sich weiterentwickelt. Wie nun (nach der theoretischen Beschäftigung mit dem Feuer) völlig verständlich, zeigt sich nach einigen Minuten der Betrachtung des Videos, dass auch Feuer mit im Spiel ist (eine Kerze lässt einen Luftballon platzen, ein Becken mit einer brennbaren Flüssigkeit fängt Feuer). Es treibt den Prozess voran: eine „Feuerwerdung“ im Kleinen. Im Vorfeld der Aufnahme dieses Videos müssen allerdings, wie in meiner Arbeit, zahlreiche Experimente abgelaufen sein, bis die einzelnen, etwas anders gearteten Dominosteine in die „richtige Position“ gebracht wurden. Diese Positionierungsbewegungen findet man in meiner Arbeit auf der Feuerkarte und in den einzelnen Experimentierphasen wieder. Anders als bei Fischli und Weiss , wo man diese Experimente nur vermuten kann, werden diese hier (aus bereits dargestellten Gründen) dokumentiert und fanden auch ihren Weg in die geplante Ausstellung (vgl. Kap. 8.1).



4.2 Videoarbeit: “Des Dorfes Delm Feuerwerdung“

Ohne vorab ein exaktes Bild von der Arbeit vor Augen zu haben, inspiriert von der Idee, kurzeitig den germanischen Loki an den Ort seiner einstmaligenDenkmals und führte ein Interview mit August Wilke, einem der Nachfahren des Dorfes Delm. In den ersten Versionen der Arbeit, steht das Interview noch sehr im Vordergrund, es nahm der ganzen Sache aber seine Mystik, so dass ich mich entschied, es auf seine Audiospur zu beschränken. Die „Dominosteine“ (vgl. Fischli und Weiss in Kap. 4.1.1.) werden auf Position gebracht. Der Inhalt des eigentlich ca. 20 minütigen Interviews wurde von mir auf ein Minimum reduziert. Die Grundinformationen zum Dorf und der Nachfahrenschaft werden geliefert und der Beginn des Videos zeigt zudem das Schild „Hier stand das Dorf Delm“. Dann sieht der Betrachter einen brennenden Knoten am Ende eines Seils, der langsam hin und her schwingt. Nur soviel: Auf Island sagt man auch „Da ist ein Loki drin”, wenn ein Faden sich verwickelt hat.(52) Mit der Zeit, in Zwischenwirkung zu dem gesagten Wort, werden Videobilder eingeblendet, die den Betrachter zum Denkmal führen. Ruckelartige, befremdlich schnelle Bewegungen sollen, genauso wie das Geräusch, welches dabei ertönt, Gedanken an etwas Metaphysisches zulassen: Das Eingangsdrehkreuz fängt an zu brennen, wie auch die zahlreichen Findlinge, die auf dem Gelände verstreut liegen. Loki vollbringt sein Werk... . Am Ende des Videos reißt das Seil, an dem der brennende Knoten hängt. Auf gezielte Art und Weise spreche ich in dem Video verschiedene Aspekte an: Auf emotionaler Ebene steht das Feuer hier für etwas, das nicht vorrangig zerstörerisch wirkt. Loki kommt nicht, um unter den ehemaligen Dorfbewohnern erneut Angst und Schrecken zu verbreiten. Er ist, ganz seinem ambivalenten Erscheinungsbild, auch ein Gott, der den Menschen Gutes bringt. Seine Hinterlassenschaften auf den Steinen sind nur von kurzer Dauer und erzeugen keinen Schmerz. Was die Flammen damals erzeugt haben, steht mit Sicherheit in keinem Verhältnis zu dem, was heute ist. Doch entstanden ist etwas Außergewöhnliches: ein „feuergefördertes“, reales, seit 400 Jahren existierendes gesellschaftliches Konstrukt. In den Zeiten der zunehmenden digitalen Vergesellschaftung (Studi VZ, myspace, Face book, Twitter), wo die Kündigung der Freundschaft oft nur einen „Klick“ entfernt ist, beinahe nicht mehr vorstellbar.



Videoarbeit: "Feuertrunken" , 2009 | © Johannes Lührs
4.3 Photodokumentation: „Feuerperformance für Tiere”

Ähnlich wie bei „Des Dorfes Delm Feuerwerdung“ arbeitete ich hier mit dem symbolischen Gehalt mancher Gegenstände. Der Findling, der abgestorbene Baum mit dem rostigen Eisen davor und schließlich der Grabstein. Vor dem Hintergrund der Kulturtechnik des Kochens, welche durch die Domestizierung des Feuers erst eröffnet wurde (53), vor dem Hintergrund der Gans zu Weihnachten oder dem Brathähnchen auf dem Teller scheint der Tod durch das Feuer unmittelbar präsent, gleichzeitig aber auch in weiter Ferne, denn es gibt offensichtlich für die beteiligten Tiere wichtigere Dinge zu tun: zum Beispiel Fressen.

Photodokumentation "Feuerperformance für Gänse" 2009 | © Johannes Lührs

Photodokumentation "Feuerperformance für Hähne" 2009 | © Johannes Lührs

4.4 Videoinstallation: „Die Feuerpflanzen”

Blumen wachsen durch das (Sonnen-)Feuer. Die Umkehrung des Brennprozesses (die einzelnen Videos der brennenden Pflanzen laufen rückwärts ab) lässt die Pflanzen im Feuer wachsen und in voller Blüte erstrahlen. Kurioserweise stellte ich fest, dass ich mit den Videos der Feuerpflanzen einen überaus natürlichen Vorgang sehr nahe komme: den Pyrophyten. Pyrophyten sind Pflanzen, die sich an regelmäßige Wald- oder Buschbrände angepasst haben, sogar zum Teil ökologisch davon abhängig sind. Meinem künstlerischen Bestreben, auch positive Effekte von Feuer in die menschliche Wahrnehmung reinstallieren zu wollen, schadete diese Entdeckung keinesfalls. Diese künstlich erzeugten Pyrophyten, die auch noch künstlich auf Monitoren in einem kahlen, unwirtlichen Raum gezeigt werden sollen, haben gerade vor dem Hintergrund ihrer natürlichen Vorbilder ihre (künstliche) Berechtigung. Bedenkt man, dass „das Endprodukt eines Verbrennungsvorgangs schwerer ist als seine Ausgangsstoffe“(54) muss die Umkehrung des Brennprozesses das Produkt leichter machen. Die Pflanzen werden also leichter als vorher, schöner auch. Dadurch, dass die Videos in einem ansonsten unbeleuchteten Raum gezeigt werden, gilt zudem: „Jede Pflanze ist eine Lampe. Der Duft ist aus Licht.“(55) Begibt man sich nun in einen Raum, in dem man leise das Feuerknacken und Zischen hört und sieht im Feuer wachsende Pflanzen völlig unterschiedlicher Art ("Brenn"nesseln, Rhododendron und Margeriten) in einer chaotischen, naturgleichen Präsentationsform, so kann es passieren, dass man der universalen „Feuerwerdung“ näher kommt, denn „Die Blumen, alle Blumen sind Flammen – Flammen, die Licht werden wollen. Jeder Blumenträumer fühlt dieses Lichtwerden, es regt ihn an wie ein Überschreiten von allem, was er sieht, wie ein Überschreiten der Wirklichkeit“´(56)


Quellen:
(51) Vgl. Grimm, J.: „Deutsche Mythologie“, Wien-Leipzig, 1943, S.160f
(52) Bellinger, G. J.: „Knaurs Lexikon der Mythologie“, Bechtermünz, 1997, S. 280
(53) Vgl. Goudsblom, J.: „Das Feuer in der Menschheitsgeschichte“, in: Busch, B.; Goldammer, J.G.; Denk, A. (Hrsg.): „Feuer“, Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn, 2001, S. 96ff
(54) Treumann, R. A.: „Das Feuer in der Menschheitsgeschichte“, in: Busch, B.; Goldammer, J.G.; Denk, A. (Hrsg.): „Feuer“, Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn, 2001, S. 213 
(55) Hugo, V.: „L’homme qui rit“ (Der lachende Mann), Bd. II., Kopenhagen, vermutlich 1920, S. 34
(56) Bachelard, G.: „Die Flamme einer Kerze“, München, 1988, S.72