5 Feuergefährlich

Nachdem in den „Feuerpflanzen“, der Dokumentation der „Performance für Tiere“ und „Des Dorfes Delm Feuerwerdung“ primär der im positiven Sinne erschaffende Charakter des Feuers im Vordergrund stand (wachsende Blumen, das Erschaffen einer Gemeinschaft, angstlose Sichtweise auf das Phänomen), gerät hier ein kritischer Zugang zum Medium in den Blick. Wenn man von der „Macht des Feuers“ redet, dann hat das meist mit kriegerischen Zusammenhängen zu tun. Der Künstler Kain Karawahn äußert sich beispielsweise dazu:
„Wer die besten Feuerwaffen hat, beansprucht oberste Potenz auf diesem Planeten. Sich als Führer, König, Kanzler oder Präsident mit Feuer zu zeigen imponiert völkisch ungemein, suggeriert allmächtig und erhaben zu sein. Denn das historische Siegerbild, auf das wir psychologisch geeicht sind, ist eben Hab und Gut und Palast des Feindes in Flammen. Erst dann galt die Eroberung bzw. Vernichtung bei allen Gewinnern und Verlierern als manifestiert. Kunst‐ und Kriegsgeschichte sind voll von derartig geräucherten Schinken ...“(57).
Karawahn spielt hier auf das Kriegsfeuer an. Im Rückblick auf den kalten Krieg, in dem die (atomare) Hochrüstung auf die Spitze getrieben wurde, wird auch die politische Relevanz des Feuers deutlich. Feuer kann Macht bedeuten und zerstören. Muss es aber nicht. Die nachfolgenden Arbeiten bewegen sich genau in diesem Spielraum der Dualität des Feuers.

5.1 Experimentalphase II

Im Vorfeld zu den Arbeiten fand wiederum eine Suche (nach den richtigen Positionen der Dominosteine)statt. Wieder war der Ausgangspunkt der Ort, so begab ich mich auf die niederländische Nordseeinsel Schiermonnikoog. Meine Ausgangsidee war eigentlich, dem ursprünglichen Feuer etwas anderes Ursprüngliches in seiner ganzen Gewalt entgegenzusetzen und dafür kam meines Erachtens nur die Weite des Meeres in Betracht. Schiermonnikoogs Fremdenverein wirbt damit, den weitesten Sandstrand Europas zu haben und so packte ich wieder meinen Rucksack und machte mich den Weg. Erste Experimente am Strand brachten allerdings Ernüchterung, für die Entfaltung eines richtigen Feuer war es zu jeder Tages‐ und Nachtzeit am Strand zu windig. Relativ bald ließ ich in Ermangelung von ölpestartigen Mengen von Brennmaterial von der ursprünglichen Idee ab, erstens um die Natur zu schonen und zweitens meinen Geldbeutel. Entstanden sind nichtsdestotrotz ein paar Photografien am Strand im Schutz von Sandhügeln. Im Prinzip Resultate einer Niederlage des Feuers, das sich mit meinen künstlerischen Mitteln nicht gegen diese Urgewalt des Meeres und des Windes behaupten konnte. Auf der Suche nach einem möglichst windgeschützten Strandabschnitt kam ich an einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg vorbei. Die Begehung dieses Mahnmals, welches an den Atlantischen Schutzwall des Nazi‐Regimes erinnert und dessen Inneres man sogar betreten kann, hinterließ ein sehr bedrückendes und beklemmendes Gefühl bei mir, was mich im Anschluss nicht mehr loslassen sollte. Erinnerungen aus meiner Kindheit kamen hoch. Im Vorschulalter hatte ich phasenweise sehr viel Spaß am Kriegsspiel. Indianer und Cowboys waren meine Helden und so besaß ich auch immer ein kleines Arsenal an „Spielzeug‐Feuerwaffen“. In einem Urlaub schließlich, genau auf dieser Insel, saß ich dann in meiner Festung in einer Düne. Ich hatte mir aus Windeln meines Bruders eine gute Deckung gebaut und feuerte mit meiner neu erworbenen Erbsenpistole auf Passanten. Als Kind war es mir im Spiel natürlich völlig egal, auf wen ich da schoss, so dass schließlich ein sehr aufgebrachter Holländer in einer Schmährede auf deutsche Touristen und die Vergangenheit der Deutschen in Holland seinem Ärger Luft machte und ich erst einmal fassungslos Schutz bei meinen Eltern suchte. Verstehen konnte ich diese politisch motivierte Reaktion erst später.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung fiel es mir sehr schwer, am Bunker überhaupt mit Feuer zu arbeiten. Ich, als Nachfahre dieser Menschen, die in der ganzen Welt mit Hilfe des Feuers soviel unermesslichen Schaden angerichtet hatten. Trotzdem gehörte das Feuer meiner Meinung nach an diesen Ort. Ich wollte mich genau mit dieser Vergangenheit des Feuers auseinandersetzen und spürte bei jeder Aktion, wie diese noch in der Gegenwart wirkt. Wie erkläre ich mich, wenn ein Holländer oder eine Holländerin Fragen stellt? Wenn ältere Holländerinnen oder Holländer sich plötzlich an die Erfahrungen mit (deutschem) Feuer zurückerinnern? Kann ich mich so erklären, dass er/sie meine Intention versteht? Zum Beispiel, dass ich das Feuer in diesem Falle dazu nutzen will, geschichtliche Vorgänge aufzuarbeiten und letztendlich damit etwas Positives/ eine Veränderung bewirken will?
Gibt es eine Chance gegen diese Erinnerungen anzukämpfen? Die Schilderung dieser fiktiven Situation macht die teilweise sehr gegensätzliche Wahrnehmung des Elements besonders deutlich und haben auch großen Einfluss auf die in diesem Kapitel folgenden Arbeiten: Feuergefährlich.

5.1.1 Cai Guo Qiang (*1957) – Zerstörung und Schöpfung durch Feuer

Cai Guo Quiang begibt sich mit seinen Arbeiten unter anderem auch in dieses schwierige Feld. Er ist ein chinesischer Künstler, der schon in seiner Jugend Erfahrung mit kriegerischen Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan machte. Die Detonation von Bomben war bis auf das chinesische Festland zu hören. Im Gegensatz dazu, hat Guo Quiang in seiner Arbeit mit Schießpulver „allerdings immer beide Seiten einer Explosion im Blick, die zerstörerische wie auch die schöpferische, ästhetische“(58). Das Projekt „The Earth Has Its Black Hole Too“ , welches ich hier beispielweise nenne möchte, macht dies deutlich. In Hiroshima, an der Stelle eines ehemaligen Infanterie‐Lagers, welches zuerst von der Atombombe getroffen wurde, führte er eine seiner oft sehr groß angelegten Aktionen durch. Schießpulversäcke wurden an 114 mit Helium gefüllten Ballons aufgehängt, die widerum eine 900 Meter lange Spirale bildeten. Die Explosion der Säcke pflanzte sich von außen spiralförmig nach innen fort und die Geräusche der Detonationen waren in der ganzen Stadt zu hören.(59)
Quiang verbindet so ein ehemals an diesem Ort destruktiv wirkendes Element mit ästhetischen Formen. Er arbeitet bewusst auch mit der Vergangenheit dieses Ortes. Einer Vergangenheit, die das „Heute“, aber auch die Zukunft anspricht.

Abbildung 19 ‐ Cai Guo Quiang „The Earth Has Its Black Hole Too“

5.2 Photodokumentation: Brennender Sand

Eine Folge des kriegerischen Einsatzes von Feuer ist meiner Meinung nach die Antwort mit Gegenfeuer. Dort greift die Photodokumentation „Brennender Sand“. Wie schon erwähnt, ist diese Photodokumentation  aus den Folgen eines gescheiterten Projekts entstanden. Deshalb ist es mir gerade wichtig, sie in diesem Kontext auch als Arbeit mit einzubeziehen. Was wäre, wenn die Nazis damals nicht gestoppt worden wären? Wenn selbst andere Gewalten ihr Feuer nicht aufhalten hätten könnten? Gerade im Zusammenhang mit dem Kontext von Krieg und Zerstörung durch das Feuer stellen diese Bilder nun eine Art Gegenpol dar. Das „Gegenfeuer“ bleibt aus, nämlich in dem Sinne, als dass ich nicht mit aller Kraft versucht habe, die Gewalt des Meeres und des Windes mit meinem Feuer zu brechen. Das allzu mächtige Feuer findet im Sand nichts Weiteres, das es verzehren könnte und erlischt schließlich, ohne dass die Idee an ein „Gegenfeuer“ überhaupt aufkommen konnte.

Photodokumentation “Brennender Sand”,  2009 |© Johannes Lührs

5.3 Photodokumentation: Deutsches Feuer

Die drei Photoreihen (s.u.) stellen die Ergebnisse meiner ersten Arbeiten an den deutschen Hinterlassenschaften auf dieser Insel dar. Betonpfeiler (Photodokumentation „Feuerrelikte aus Beton“), die in den Dünen verlassen herumlagen, und von nahezu unberührter Natur umgeben waren, gingen gnädig mit dem symbolischen Gehalt des Feuers in diesem Kontext um. Das Feuer, welches an diesen Ort zurückkehrt, hat einen durchaus friedlichen Charakter. Die in der frühen Abenddämmerung aufgenommenen und nicht allzu kontrastreichen Bilder lassen es zu, dass man das Feuer womöglich als etwas wahrnimmt, was es in dem Moment der Aufnahme war: ein Feuer eines ängstlichen Deutschen, der sich mit der Vergangenheit
auseinandersetzen will. Im Gegensatz dazu ist die nächste kleine Serie (vgl. Photodokumentation „Am Bunker) schon brisanter: Aus einem Guckloch auf dem Dach des Bunkers scheint Feuer, während man im Hintergrund allerdings noch die Weite der Insel als Gegenpol wahrnimmt. Die brennende Wand des Bunkers mit der Aufschrift „BEKLINNEN EN BETREDEN ESCHIEDT OP EIGEN RISICO“(60) und vor allem das Feuer an dem in der Nähe gelegenen Soldatenfriedhof lassen in ihrer stärkeren Kontrastwirkung
zum einen und ihrem größeren symbolischen Gehalt zum anderen wirklich an jenes erbitterte Feuer im Krieg denken, was so vielen Menschen den Tod brachte. Im Inneren des Bunkers (vgl. Photodokumentation “Im Bunker”) übertritt das Feuer dann im Bild die (Tür-)Schwelle: Das Feuer, da wo es nie wieder seine ganze Kraft entfalten sollte; im Herzen eines Bauwerks von Nationalsozialisten.

Photodokumentation „Feuerrelikte aus Beton“ , 2009 | © Johannes Lührs

Photodokumentation „Am Bunker“, 2009 | © Johannes Lührs

Photodokumentation “Im Bunker”, 2009 | © Johannes Lührs

5.4 Videoarbeit: Feuertrunken

Ähnlich wie bei der Arbeit „Des Dorfes Delm Feuerwerdung“ arbeitete ich hier mit dem Faktor der Zeit. Dem vermeintlichen Kriegsfeuer vergangener Tage werden einfache, statische Bilder eines Dünenkraters, auf dessen Rändern kleine, friedliche, nichts‐böses‐wollende Feuer brennen, entgegengesetzt.
Das Video stellt aber gleichzeitig noch eine Frage an die Zukunft: Dadurch, dass die reduzierte Melodie von Beethovens 4. Satz der 9. Sinfonie abläuft (eine Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“ ), wird fast zwangsläufig die europäische Union mit ins Spiel gebracht. Andererseits könnte man hier auch an die ersten Zeilen des Textes von Schiller denken: „Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligthum.“ Diese Zeile gerät im Kontext zu den gezeigten Bildern in etwas, das ich hier eine „Bedeutungsvibration“ nennen möchte:
Der „schöne Götterfunken“ und das „Feuertrunken“ erlebt vor dem Hintergrund der gezeigten Bilder eine Renaissance im negativen Sinne, während der Text und die Melodie eigentlich dem schönen Leben, der Freude, gewidmet ist.
Ausgehend von den Photografien auf der Insel (vgl. 5.3), in denen ich verschiedene Stufen der (negativen) Konnotierung des Feuers schon abgebildet hatte, stellt diese Videoarbeit eine Gegenüberstellung dieser Stufen dar. Der Betrachter findet sich zuerst vor dem Bunker wieder. Die Melodie beginnt. Unruhige, verwackelte Bilder führen zu den Öffnungen des Bunkers, in denen Feuer brennt. Die Melodie wird unterbrochen und die Düne wird gezeigt. Vogelgezwitscher. Die Ruhe wird nicht
durch das Feuer gestört. Es brennt weiter „seelenruhig“(61) vor sich hin. Die Melodie beginnt wieder. Im Innern des Bunkers passiert etwas, etwas positioniert sich an einer Bunkeröffnung. Wieder Ruhe und Idylle. Schließlich wird diese erneut unterbrochen. Ein lärmendes Geräusch bricht durch die Melodie, während der Blick aus dem Bunker heraus, ins Licht, durch starke Verwackelung erschwert wird. Wieder Idylle, bevor die letzten Töne der Melodie vor schwarzem Bildschirm ertönen.


Videoarbeit “Feuertrunken”, 2009 | © Johannes Lührs


Quellen:
(57) Karawahn, K. : „Pyroporno“, Tübingen, 2002, S. 15
(58) Guo Quiang, C.: „Auf der Suche nach der Ewigkeit im Ephemeren“, in: Busch, B.; Goldammer, J.G.; Denk, A.(Hrsg.): „Feuer“, Hrsg.: Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn, 2001, S. 587
(59) Vgl. Guo Quiang, C.: „Auf der Suche nach der Ewigkeit im Ephemeren“, in: Busch, B.; Goldammer, J.G.; Denk,
A. (Hrsg.): „Feuer“, a.a.O., S. 591

(60) Der Autor übersetzt frei: „Das Besteigen und Betreten (des Bunkers) geschieht auf eigenes Risiko“
(61) Die länger andauernde Beschäftigung mit dem Feuer ruft hervor, dass man es als etwas betrachten kann, was eine eigene Seele haben könnte. Es tut uns weh, es spendet uns Licht, es ist manchmal melancholisch. Fast wie unsere Liebsten zuhause.